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Plenarsitzung - Gesetzentwurf zur Gewalt an Frauen und Kindern, Generaldebatte

Die Erläuterungen von LR Deeg, die Stellungnahmen von Foppa, Rieder, Repetto, Ploner und Dello Sbarba.

Landesgesetzentwurf Nr. 94/21: Maßnahmen zur Prävention und Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt und zur Unterstützung von Frauen und ihren Kindern (vorgelegt von der Landesregierung auf Vorschlag der Landesrätin für Familie, Senioren, Soziales und Wohnbau Waltraud Deeg).
Laut einer EU-Erhebung sei jede fünfte Frau physischer oder sexueller Gewalt ausgesetzt, erklärte LR Waltraud Deeg. In Südtirol seien in den letzten 30 Jahren 26 Frauen von Männern aus ihrem Umfeld ermordet worden, von Jänner 2020 bis März 2021 habe es 4 Femizide gegeben. Mit dem Landesgesetz Nr. 10 von 1989 habe Südtirol erste wichtige Schritte gesetzt. Seitdem seien viele weitere Initiativen gestartet worden, nicht zuletzt das Protokoll Erika für Gewaltopfer in der Notaufnahme. Die Istanbulkonvention sei der erste rechtliche Rahmen für den Schutz von Frauen vor Gewalt, 45 Staaten und die EU hätten sie unterzeichnet. Die Konvention verpflichte auch zu Präventionsmaßnahmen, und da könne das Land viel tun. Verbale Gewalt in Netzwerken betreffe vor allem Frauen, aber sie werde kaum geahndet. Prävention sei Aufgabe einer ganzen Gesellschaft, nicht nur der Institutionen, daher werde in jeder Gemeinde eine Koordinierungsstelle vorgesehen. Zweiter Punkt im Gesetzentwurf sei die Einrichtung eines Solidaritätsfonds zur Unterstützung der Opfer. Ein Netzwerk solle alle in dem Bereich tätigen Organisationen koordinieren. Zu sexueller Gewalt an Kindern und Jugendlichen gebe es wenig Daten, auch hier wolle man aufholen. Im Gesetz sei auch die sog. Täterarbeit vorgesehen. Man müsse Frauen und Kinder besser vor Gewalt schützen, meinte Deeg, aber Gewalt gebe es auch anderswo, z.B. in der Pflege. Nachholbedarf gebe es auch auf staatlicher Ebene, wo die strafrechtlichen Rahmenbedingungen anzupassen seien. Was auch außerhalb des Gesetzes anzugehen sei, sei das Thema des sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen und Kindern, hier wolle man auf Sensibilisierung setzen. Dazu sei man auch mit Dr. Monika Hauser in Kontakt.

Es habe sich etwas geändert in den letzten Jahren, das Thema werde zur Kenntnis genommen, bemerkte Brigitte Foppa (Grüne). Sie sei lange als Feministin aktiv und habe lange geglaubt, über dieses Thema müsse man nicht mehr reden. Dann habe sie bemerkt, dass man immer noch am Anfang stehe, das Recht auf körperliche Unversehrtheit werde immer noch in Frage gestellt. Sie sei froh, zu dieser Debatte beigetragen zu haben, indem sie eine Anhörung zum Gesetz im Landtag beantragt habe. Gewalt zu erleben sei immer auch mit Scham verbunden, auch deswegen sei es schwierig, darüber zu reden. Ein zweiter Grund sei, dass oft auch die Mitschuld der Frau angenommen werde. Ein Drittes sei die Südtiroler Schweigekultur, die man sonst auch bei historischen Themen wie der Option bemerke. Die Scham sei so verbreitet, dass 85 Prozent der betroffenen Frauen keine Anzeige erstatteten. Sie müssten befürchten, an den Pranger gestellt zu werden. Sie sei froh, dass dieses Gesetz nun vorliege, froh auch, dass man einen Kompromiss gefunden habe. Für die Prävention sei Bildung sehr wichtig, um von einer frauenfeindlichen Kultur abzukommen.

Maria Elisabeth Rieder (Team K) erinnerte an die eindringlichen Worte des Staatspräsidenten, der Femizide als Scheitern der Gesellschaft bezeichnete, und an Senatorin Liliana Segre, die einen Respekt zwischen Geschlechtern von Kindesalter an angemahnt hat. Die Anhörung vor dem Gesetzgebungsausschuss, vor allem die Ausführungen von Monika Hauser, habe ein Gesamtbild vermittelt. Wichtig sei es, die Stereotype zu durchbrechen, und dies sei möglich. So wie man das Rauchverbot durchgesetzt habe, lasse sich auch dieses Thema bewältigen. 45 Prozent der Frauen hätten in ihrer Beziehung eine Situation von physischer oder psychischer Gewalt erlebt. Es sei positiv, wenn das Thema nicht mehr nur als Problem der Frauen empfunden werde. Die Prävention sei wichtig, und dazu müsse man auch die Medien einbinden. Die Kosten von Gewalt für die Gesellschaft seien hoch, allein die Folgen häuslicher Gewalt in der EU würden 16 Mrd. kosten. Heruntergerechnet auf Südtirol wären das 21 Mio. Euro. Mit der Prävention ließen sich viele dieser Kosten vermeiden. Ziel der Istanbul-Konvention sei ein von Gewalt freies Europa, ein Verweis darauf werde mit Änderungsantrag im Gesetz aufgenommen. Der EuGH habe nun festgelegt, dass die EU keine Einstimmigkeit brauche, um der Konvention beizutreten. Südtirol könne mit diesem Gesetz vorausgehen.

Sandro Repetto (Demokratische Partei - Bürgerlisten) erinnerte an den langen Weg, der zu den verschiedenen nationalen und internationalen Regelungen und Konventionen geführt hat: Was heute logisch und normal erscheint, war es in Wirklichkeit nicht, denn Ende des 20. Jahrhunderts waren Stereotypen und Vorurteile noch weit verbreitet, und erst 1968 wurde in Italien die Schuld der ehebrecherischen Frau aufgehoben, erst 1975 wurde das Vorrecht des Mannes abgeschafft, erst 1981 wurden Ehrenmorde abgeschafft, und erst 1996 wurde geschlechtsspezifische Gewalt als Verbrechen gegen die Person und nicht als Verbrechen gegen die Sitte betrachtet. Dies war auch das Ergebnis der sich verändernden gesellschaftlichen Situation. In Südtirol gab es bereits 1989 die ersten Regelungen zum Schutz der Frauen, wir waren in dieser Hinsicht ihrer Zeit voraus. Er werde dem Entwurf zustimmen, habe aber einige Änderungsanträge eingereicht, vor allem zum finanziellen Aspekt.

Man diskutiere heute ein ganz wichtiges Landesgesetz, erklärte Franz Ploner (Team K), das auf der Basis der Istanbuler Konvention geschrieben worden sei, die heuer ihren 10. Jahrestag habe. Es brauche gemeinsame Standards zur Gewalt an Frauen und zur häuslichen Gewalt. Ziel der Konvention sei ein Europa, in der Frauen und Kinder ein Leben frei von Gewalt führen können. Sie sei Völkerrecht, das man einklagen könne. Gewalt gegen Frauen und Kinder gehöre zu den schwersten Menschenrechtsverletzungen in Europa. Schätzungsweise jede dritte Frau sei einmal im Leben Opfer von Gewalt, das wären in Südtirol rund 70.000 Frauen. Wichtige Punkte im Gesetzentwurf seien die Beratung, der Schutz durch Frauenhäuser und ähnliche Einrichtungen, die Kommunikation. Die Täter seien meist Männer aus dem Umfeld der betroffenen Frauen. Südtirol habe es noch nicht geschafft, von der patriarchalischen zur partizipativen Gesellschaft zu kommen. Corona habe durch den Rückzug in die Häuser alles noch verschlimmert. Man müsse auch dafür sorgen, dass das entsprechende Strafrecht umgesetzt werden könne. Vor allem im ländlichen Raum sei es wichtig, die Anonymität der Opfer zu garantieren. Wichtig sei auch die Überprüfung der Umsetzung der Konvention durch die Staaten.

Riccardo Dello Sbarba (Grüne) sah die Debatte als historischen Moment, heute werde der Tatbestand der Gewalt gegen Frauen als solche anerkannt. Es gehe meist um stille Gewalt, verübt in der eigenen Wohnung, meist von Lebenspartnern. Das Thema sei ein Tabu, weil es die Gesellschaft ganz aus der Nähe betreffe. Die Südtiroler seien hier nicht besser als andere. Dieses Gesetz sei wichtig, auch weil es nicht abstrakt sei. Es sehe einen Solidaritätsfonds für die Opfer vor, und das Land könne sich als Nebenkläger in den Prozess einlassen - das sei nicht wenig. Dem Gesetzentwurf merke man auch an, dass viel Expertenwissen eingeflossen sei, etwa bei der Trennung zwischen Opfer und Täter. Die Gewalt entspringt dem patriarchalischen Modell, dem männlichen Chauvinismus, der eine Form der Machtausübung und der Durchsetzung einer Hierarchie ist. Diese Macht wird von den Frauen zunehmend in Frage gestellt, und Gewalt ist das Mittel, mit dem Männer versuchen, sie zu erhalten und wiederherzustellen, auch in einer Beziehung: "Und hier müssen wir Männer unsere Hausaufgaben machen, indem wir uns daran gewöhnen, die Welt zu teilen, während wir daran gewöhnt sind, sie zu beherrschen". Es sei schwer, Herrschaft abzugeben, das habe man jüngst bei den Wahlen in der Journalistenkammer gesehen, wo letztendlich eine Frau gewählt wurde. Männer sollten Gewissenserforschung betreiben. Das Landesgesetz werde zunächst zu einem Anstieg der Meldungen führen. Die Istanbulkonvention sehe einige Standards zu den Frauenhäusern vor, die aber von Südtirol nicht eingehalten würden. Es bräuchte mindestens 52 Plätze, zur Verfügung stünden nur 38. 

AM

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